In der alten Heimat meines Vaters oder auf der Suche nach meiner Tante

 

Am 03.09.2015 flogen mein Mann Wolfgang und ich nach Belgrad. Das Ziel, die ehemalige Heimat meines Vaters, die Stadt Franzfeld im Banat. Heutiger Name Kačarevo.

 

Der Grund unseres Fluges… ich werde mal von vorn beginnen.

 

Weihnachten 25.12.2014. Im Restaurant zwischen Weihnachtsgänsen und Bratäpfeln erzählte meine Mutter, dass es in der Familie meines Vaters eine Halbschwester gab. Sie lebte in Serbien, war verheiratet und hatte zwei Mädchen. Leider sind ihr Mann und sie früh gestorben. Im ersten Moment waren Wolfgang und ich verblüfft, das musste erstmal verdaut werden.

 

Zu Hause, fragte Wolfgang „hast du gehört? Du hast noch zwei Cousinen“. „Ja“, sagte ich „das ist doch der Hammer! Wieso hat mein Vater nie was davon erzählt?“.

 

Beim nächsten Besuch wollte ich meine Mutter genauer befragen.

 

Einige Tage später quetschte ich sie aus: „Woher weißt du von der Schwester?“, fragte ich. Sie berichtete: „Ich habe in Pančevo in der Kammgarnspinnerei gearbeitet, als eines Tages eine Frau auf mich zu kam und sagte: „Sie sind meine Tante.“ Verdutzt schaute ich sie an: „Tante? Das verstehe ich nicht. Wie meinen sie das? Meine Mutter und ihr Mann sind Halbgeschwister“, erwiderte sie. „Ich war verblüfft, als ich am Abend nach Hause kam, stellte ich deinen Vater zur Rede.“ Er offenbarte mir, dass es tatsächlich eine Halbschwester gäbe, die allerdings nicht bei ihnen aufgewachsen sei.

 

Meine Mutter hatte in der Firma oft mit ihrer Nichte Kontakt. Als sie mit meinem Vater und meinem Bruder 1956 nach Deutschland übersiedelte, brach die Verbindung ab. Leider kannte sie nur den Namen meiner Cousine. Sie hieß Bärbel oder Barbara. Wie die verstorbene Mutter meiner Cousine hieß, wusste sie nicht und an Geburtsdaten… schon gar nicht zu denken.

 

Eine Begegnung gab es dann doch noch mit ihr. 1958 im Grenzdurchgangslager Piding traf meine Mutter Bärbel wieder, als sie in Piding meinen Onkel mit Familie besuchte, die nach Deutschland emigrierten.


(Bilder aus dem Grenzdurchgangslager Piding 1958 von meinem Onkel)

Somit weiß ich, dass zumindest eine meiner Cousinen nach Deutschland ausgewandert war.

 

Das kann doch kein Zufall sein, dass sie mir das jetzt erzählte.

 

In der Hoffnung, einer meiner Verwandten könnte mir einen Hinweis geben, rief ich alle an. Sie waren perplex und ebenso erstaunt wie ich. Niemand wusste etwas. Mein Vater und  seine 5 Geschwister waren verstorben und keiner hatte jemals von einer Halbschwester erzählt. Ich war sprachlos.

 

Dennoch konnte ich mir ausmalen, wie es in der damaligen Zeit war ein uneheliches Kind zu haben. Meine Oma musste bestimmt einiges erdulden. Alles Mögliche ging mir durch den Kopf. Wieso wurde das Kind nie erwähnt? Schande, Blamage, Entehrung, Skandal? Oder vielleicht eine große Liebe, die nicht gelebt werden durfte?

 

Ich musste Nachforschungen anstellen. Es ließ mir keine Ruhe. Ich wollte wissen was meine Oma bewogen hat ihr Kind wegzugeben.

 

Über die ehemalige Heimat meines Vaters gibt es ein Buch: „Die Franzfelder“. Die Geschichte der Donauschwaben im Banat. Deutsche Aussiedler gründeten am 20. Juli 1791 unter anderem die Stadt Franzfeld. Viele Namen der damaligen Einwohner sind auf den letzten Seiten mit heutigem Wohnort vermerkt. In der Hoffnung, den Namen meiner Tante oder einen Vermerk zu finden studierte ich das Buch. Nichts! Wo fing ich nur an? Ich hatte nur die Daten meiner Oma und den Namen Bärbel oder Barbara. Es gab mehrere Familien mit dem gleichen Nachnamen, ob sie verwandt waren mit ihr?

 

Einige Ämter wurden von mir angeschrieben. Alle waren sehr nett, konnten jedoch nicht helfen. Ohne Name und Geburtsdaten? Fast unmöglich etwas ausfindig zu machen. Somit versteifte ich mich auf den Verein der Franzfelder und siehe da, am 25. Juli 2015 fand ein Treffen in Reutlingen statt.

 

In der Hoffnung einer der Vereinsmitglieder könnte meine Familie kennen, sind mein Mann und ich, bewaffnet mit einem Stammbaum, auf das Treffen gefahren.

 

Leider konnte sich niemand an meine Familie erinnern. Wir hörten bewegende Lebensgeschichten von den ehemaligen Franzfeldern. Das Ausmaß der Vertreibung nach Kriegsende wurde uns erst jetzt bewusst.

 

Dabei kam uns zu Ohren, dass im September eine Reise in die alte Heimat veranstaltet wurde. Ich erkundigte mich ob es möglich sei, im Standesamt vor Ort evtl. Daten zu erhalten. Ich bekam die Gelegenheit, einen Mitreisenden vom Verein als Dolmetscher für das Amt zu gewinnen. Somit meldeten wir uns für die Reise an.

 

Mit einiger Verspätung ging es am 03.09.15 mittags vom Stuttgarter Flughafen mit dem Flieger nach Belgrad. Dort wurden wir abgeholt und zu unserem Hotel gebracht. Wir waren ein bunter Haufen aller Altersklassen. Einige kannten sich vom Franzfeld Verein. Auf der Fahrt zu unserem Hotel, das ca. 6 km außerhalb von Belgrad lag, ging es lustig zu. Wir haben uns auf Anhieb verstanden.

 

Jedes Mal, wenn ein Mensch lacht, fügt er seinem Leben ein paar Tage hinzu.
(Curzio Malaparte)

Die Außenfassade des Hotels war weiß. Die blaue Fensterfront spiegelte sich in der Sonne. Das Eingangsportal befand sich unter einem Vordach, das von mehreren Steinsäulen gestützt wurde. Links darunter standen Tische und Stühle im Schatten. Rechts davon führte eine große Glastür in den Eingangsbereich. In der Vorhalle, die ebenso mit einigen Tischen und Stühlen bestückt war, wurden wir an der Rezeption empfangen. Wir bekamen unsere Schlüssel und verabredeten uns zum Abendessen.

 

Zur Dämmerstunde wurden wir von einem Kleinbus abgeholt. Er fuhr mit uns nach Kačarevo zu Julka, um dort zu Abend zu essen. Julka ist die Tante von Michael, der unseren Aufenthalt mit Führungen und Besichtigungen arrangierte.

 

Der Tisch war mit köstlichen Speisen beladen. Ich wurde an meine Kindheit erinnert. Zu Hause war es bei Festivitäten ebenso, die Gastfreundschaft zeigte sich unter anderem am Essen. Keiner durfte hungrig nach Hause gehen. „Habt ihr alles, braucht ihr noch was? Fehlt was?“ Als bei Julka zum Abschluss der Mohnstrudel auf den Tisch kam, war ich im siebten Himmel. Er schmeckte wie zu Hause. Meine Mutter hatte früher den Strudelteig auf unserem großen Holzküchentisch ausgezogen und oft geschimpft. „So ein Mist, jetzt ist wieder ein Loch im Teig. Egal, das geht schon, einfach nur zusammenkleben. Ich mag nicht mehr, wieso tu ich mir das nur an?“. Daran erinnerte ich mich, als ich genüsslich in den Strudel biss. Am Ende gab es noch einen Sliwowitz, der durfte natürlich nicht fehlen.


Am nächsten Tag fuhren wir nach Rudolfsgnad. Der heutige Name ist Knićanin. Dort befand sich von 1945 – 1948 ein Internierungslager. In dem auch meine Oma verstorben ist.

 

1866 besiedelten Deutsche die Region und benannten die Stadt „Rudolfsgnad“. Seitens der Partisanenführung wurde im Oktober 1944 der Name offiziell gelöscht und die Stadt in Knićanin umgetauft. Ab April 1945 begann die Internierung nach Knićanin. Deutsche aus den umliegenden Dörfern wurden in den leerstehenden Häusern untergebracht. Darunter waren meine Oma Magdalena und ihre beiden jüngsten Kinder.

 

Unsere erste Station war eine Gedenkstätte außerhalb von Knićanin, die Teleschka. Dort wurden damals in Massengräbern die Toten beerdigt. Auch meine Oma. Ehemalige Franzfelder und andere einstige deutsche Ortschaften aus dem Banat stellten ein Denkmal und Gedenktafeln für ihre Toten auf.

 

Ich fragte eine Zeitzeugin: „kannst du dich noch an was erinnern? Du warst ja noch ein Kind.“ Sie erzählte, mit tränenden Augen: „Ich kann mich noch sehr gut an die vielen Toten erinnern die täglich abgeholt wurden. Wir hatten nichts zu essen. Unsere Mütter riskierten ihr Leben um uns heimlich was Essbares zu besorgen. Viele verhungerten und starben an verschiedenen Krankheiten, da es keine Medikamente gab“.

In diesem Moment wurden mir die Scheuklappen genommen und vor Augen geführt wie gut ich es hatte. Ich bin sehr dankbar, dass ich nicht in dieser Zeit geboren wurde.

Danach fuhren wir nach Knićanin und besuchten den örtlichen Friedhof. Es gibt noch einige alte deutsche Grabsteine, die wieder aufgestellt wurden und teilweise, wie im Dornröschenschlaf, mit Ranken überwuchert waren.

Anschließend fuhren wir zum Gestüt Sto Toppola (Hundert Pappeln) in Crepaja dort wurde uns ein deftiges Mahl gereicht.



Die deutschen Kolonisten in der Vojvodina waren verpflichtet je Familie 20 Pappeln anzupflanzen. Die schnellwachsenden Bäume gewährleisteten warme Öfen im Winter. Ebenso wurden viele Maulbeerbäume gepflanzt, die für die Seidenraupenzucht gebraucht wurden.

 

Nach dem Essen ging es nach Pančevo um die Beine an der Temesch oder auch in der Stadt zu vertreten.

In Pančevo war ich als Kind mit 9 Jahren. Mit meinen Eltern besuchte ich meine Tante. Sie lebte in einem kleinen Dorf 20 km von Pančevo entfernt. Da mein Vater eine Urkunde benötigte, begleitete ich ihn in die Stadt. Ich hatte eine kleine Ortschaft in Erinnerung und keine 76.000 Einwohner Stadt. Ich war total verwundert, wie groß Pančevo war. Zuhause fragte ich meine Mutter. Sie meinte: “Pančevo war zu jener Zeit schon eine Industriestadt, auch deswegen sind deine Großeltern mit ihren 6 Kinder von Franzfeld ausgezogen, um in der Großstadt eine Arbeit zu bekommen“.

 

Wir liefen ein Stück am Fluss entlang und zweigten Richtung Stadt ab. Als wir am Hotel Sloboda vorbei gingen, musste ich an ein Gespräch mit meiner Mutter denken. Sie erzählte mir: „Als ich in Pančevo lebte, war das Hotel Sloboda das schönste und beste Hotel in der Stadt. Meine Freundin und ich gingen dort manchmal tanzen. Die Getränke kosteten ein Vermögen. Wir konnten es uns nur ab und zu leisten.“ Das verstand ich gut, denn auch heute, sieht es noch sehr pompös aus.

Am späten Nachmittag fuhren wir zurück nach Kačarevo und besuchten den dortigen Friedhof. Einige deutsche Gräber waren wieder aufgebaut und hergerichtet. In einer kleinen Kapelle konnte ich mich in ein Besucherbuch eintragen.


Gegen Abend erwartete uns der Mazedonischen Kulturverein in Kačarevo. Wir wurden durch einen kleinen Vorraum geleitet in dem Bilder von verschiedenen Veranstaltungen des Vereins hingen. Dahinter lag eine Tür die über einen kleinen Flur zu einem Hinterhof führte. Der vordere Teil war überdacht. Der Rest des Hofes wurde von einer Pergola mit dichtem Blätterdach geschützt. Je später der Abend, desto lustiger die Gäste. Eine 3-Mann-Band spielte für uns. Essen war ebenso, wie der Sliwowitz, reichlich vorhanden.


Zu nächtlicher Stunde hörten wir ein Prasseln auf den Blättern. Einige Zeit hielt das Blätterdach dem Regen stand. Als die Tropfen zu schwer wurden und das Grün teilten flüchteten wir alle unter das Vordach.

 

Der Sliwowitz zeigte seine Wirkung. Wolfgang konnte seine Füße nicht still halten. Er hätte beinah beim Kolo mitgetanzt. Schade, dass das Gewitter kam. Das hätte ich sehen wollen.

 

Beim Kolo handelt es sich um einen Reigentanz der von mindestens 3 Personen in Reihe getanzt wird.

 

Am nächsten Tag, fuhren wir nach Vršac (dt. Name Werschetz). Dort erwartete uns eine Reiseführerin. Das erste Ziel war die „Apotheke auf Treppen“.  Eine der ältesten Apotheken. Eröffnet 1784 bis 1971. Danach wurde sie ein Teil des Stadtmuseums. Wie der Name schon sagt, geht es einige Treppen, die von beiden Seiten erklommen werden können nach oben. Im ersten Teil der Apotheke befanden sich Inventar und Möbel aus zurückliegenden Zeiten.


Im hinteren Teil waren Bilder des Malers Paja Jovanović, der in Werschetz geboren wurde, untergebracht.

 

Weiter ging es zum früheren Marktplatz. Die Sonne zeigte ihre Stärke. Alle waren müde und durstig. Einige Schritte weiter befanden sich Straßencafés unter Bäumen. Wir überredeten unsere Reiseführerin mit uns zu pausieren. Gemütlich in Korbstühlen sitzend, mit einer leichten Briese um die Nase, ließ es sich gut aushalten.

 

Nach einer längeren Pause und mehrmaligen Aufmunterungen unserer Reiseleitung ging es weiter zur Orthodoxen Kirche St. Theodore gegenüber dem Bischofssitz, an Theater und Skulpturen vorbei sowie zur Kathedrale.

Im Stadtmuseum erhielten wir eine gesonderte Führung. Wir sahen deutsche  Urkunden, Bilder und bekamen einiges an Stadtgeschichte übermittelt.

Wissen macht hungrig. Unsere nächste Station, ein kleines Bistro, erreichten wir gerade als es leicht zu tröpfeln begann. Im Innenraum war es stickig und dunkel. Ein paar Männer saßen an den wenigen Tischen, die sich in dem nicht allzu großen Raum befanden. Rechts von der Eingangstüre am hinteren Ende des Raumes befand sich eine Treppe die nach oben führte. Wir gingen hinauf und landeten in einem freundlichen hellen Raum mit großen Fenstern. Beige Holzstühle und Tische luden zum Sitzen ein. An den hohen Wänden hingen Bilder von Bob Marley, Jim Morisson, Jimi Hendrix. Auf der Fensterseite waren Bilder von Kräutern und Pflanzen befestigt. In der Zwischenzeit regnete es stärker. Froh einen Unterschlupf gefunden zu haben, genossen wir unsere Speisen und Getränke.

 

Nach dem Essen hatte sich der Regen verflüchtigt. Somit konnten wir einen Ausflug zur Werschetzer Burg machen. Unser Kleinbus brachte uns zu einem Kiosk, dort luden Sitzbänke zum Verweilen ein. Einige der Franzfelder blieben unten, da sie die Burg schon kannten. Wir spazierten über einen breiten Weg nach oben. Ich sagt zu Wolfgang: “Ob wohl mein Vater oder einer seiner Geschwister jemals hier waren? Auf den Spuren meiner Verwandten. Ich komme mir vor wie ein Pfadfinder“. Wolfgang lachte: „du wieder, Pfadfinder, bist halt mein Träumerle“.

 

Oben angelangt bot sich uns ein wunderschöner Ausblick über Vršac.

Auf dem Plateau verweilten wir in der Sonne, unterhielten uns, was konnte schöner sein.


Am Fuß der Berge von Vršac liegt die Ortschaft Gudrica (deutsch Kudritz). Das war unsere nächste Station. Bevor wir zur Weinprobe in den Weinkeller Nedin gelangten, besuchten wir die Ausstellung im Geburtshaus der Mutter des Malers Robert Hammerstiel. Er und seine Familie wurden 1944 bis 1947 interniert. Sie konnten 1947 nach Österreich fliehen. Mit seinen Bildern arbeitete er seine traumatischen Kindheitserlebnisse auf. 

 

Gemütlich gingen wir vom Ausstellungsgebäude zum Weingut Nedin. Einige Leute saßen in Stühlen vor ihrem Haus und unterhielten sich. Wir sagten auf Serbisch: „Dobar dan“ und sie antworten mit „Guten Tag“. Ich frage mich immer wieder woran wir Deutschen auf Anhieb erkannt werden. Die weißen Tennissocken sind es nicht mehr, die sieht man nur noch selten.

 

Als wir eintraten waren die Tische gedeckt und liebevoll vorbereitet. Die Weinprobe konnte beginnen. Es gab nicht nur kleine Häppchen zu essen, nein, nein da ließ man sich hier nicht lumpen. Wir erhielten ein komplettes Essen und zum Nachtisch - 3x dürft ihr raten - Mohnstrudel. Ich liebe ihn.


Die Weine waren geschmacklich sehr gut. Wolfgang und Josef fanden am Ende den Muskateller sehr lecker. Somit wurde nicht lange gefackelt und der Wirt stellte einfach noch eine volle Flasche auf den Tisch. Wie es Josef später erging weiß ich nicht, aber Wolfgang ist gleich eingeschlafen.

 

Voller Erwartung stand ich am nächsten Tag auf. Der eigentliche Grund meiner Reise rückte näher. Ich wurde am Nachmittag vom Standesbeamten in Kačarevo erwartet. Beim Frühstück unterhielt ich mich mit Wolfgang: „Meinst du, wir werden fündig? Ich bin so aufgeregt.“ „Wenn nicht alle Unterlagen nach dem Krieg vernichtet wurden oder verbrannt sind, haben wir noch eine Chance“, antwortete er.  „Du hast alle Daten deiner Oma, dann sollten Angaben über ihr erstes Kind vorhanden sein.“

 

Einige der Mitreisenden wollten heute in Franzfeld die Häuser ihrer Vorfahren suchen. Es gab einen Ortsplan mit Angaben aller Einwohner, die bis 1944 dort wohnten.

 

Auf dem Stadtplan war Nummer 508 das Haus meines Urgroßvaters. Meine Mutter hatte mir erzählt: „Dein Urgroßvater hatte zwei Söhne. Als beide eine Familie gründeten und Kinder bekamen wurden die Räume knapp. Dadurch zogen deine Großeltern mit ihren Kindern nach Pančevo“.

Wolfgang und ich wussten nicht so recht was wir machen sollten. Es war Markt in der Stadt. Wir schlenderten zum Marktplatz und trafen einige bekannte Gesichter vom Bus. Lena und Susanne wollten das Haus ihrer Ahnen finden. Somit schlossen wir und auch Werner uns an. Lena zeigte uns Fotografien von den Häusern. Sie war vor einigen Jahren mit ihrer Mutter in Kačarevo und ließ sich das Haus ihrer Ahnen zeigen. Dabei hatten sie Fotos gemacht. Mit vereinten Kräften, Ortsplan und Bilder bewaffnet würden wir die Häuser finden. Bei strahlendem Sonnenschein spazierten wir durch die Straßen.


Wir landeten vor einem Gebäude bei dem wir der Meinung waren es könnte eins der beiden Häuser sein. Susanne näherte sich dem Haus, als das Gartentor sich öffnete und ein Mann heraus trat. Er begrüßte uns sehr freundlich und fragte wonach wir suchten? Susanne machte ihm verständlich, dass wir nach dem ehemaligen Haus ihrer Oma forschten. Er sagte: „Ihr seid in der falschen Gegend. Die Straße“, er zeigte auf den Plan, „ist auf der anderen Seite“. „Oooh“, meinte Susanne: „schade ich dachte das ist das Haus“. Er bot uns einen Kaffee an und bat uns in seinen Garten. Wir lehnten ab. Waren alle ein bisschen verlegen. Wollten niemanden auf den Wecker gehen. Er ließ nicht locker. „Kommt doch rein. Kein Problem“, sagte er, indem er uns mit der Hand den Weg wies. Somit begaben wir uns in den Innenhof des Hauses. Ein Tisch mit einer blauen abwaschbaren Tischdecke und gelben Plastikstühlen stand schon bereit. Stolz zeigte er uns seinen Garten und die Tiere. Verwöhnte uns mit Quitten, Äpfeln und Feigen.


 

Er fragte nochmal: „wollt ihr einen Kaffee“? und rief nach seiner Tochter, die uns einen aufbrühen sollte. „Nein, nein danke“, sagten wir. „Wir wollten ja wieder weiter“.

 

Ich bemühte mich zu übersetzen, da ich die Einzige war, die etwas serbisch verstand und sprach, kam allerdings schnell an meine Grenzen.

 

Ich verstehe viele Wörter, wenn ich sie dann aussprechen will, entfallen sie mir. Als ich noch ein Kind war hat sich meine Mutter auf Serbisch mit mir unterhalten. Ich habe meist auf Deutsch geantwortet. Als sie besser Deutsch konnte, wurde zu Hause nur noch selten serbisch gesprochen.

 

Kurz bevor wir gingen, stellte sich heraus, dass unser netter Gastgeber im mazedonischen Verein der dritte Mann am Bass war. Wir waren so voll Euphorie die Häuser zu suchen, dass niemand bemerkt hatte wer er war. „Ja genau“, sagte Susanne und deutete mit ihrer Hand an, als würde sie einen Bass zupfen. Jetzt fiel es uns wie Schuppen von den Augen.  „Der Bass Spieler“. Wir zogen lachend weiter.

 

Nicht überall waren Straßennamen angebracht. Wir taten uns schwer, da sie im Gegensatz zum Plan nicht in Deutsch, sondern teilweise in kyrillischer Schrift angezeigt wurden. Einige Häuser waren abgerissen und neu aufgebaut worden. Lena wollte schon aufgeben. Wolfgang meinte: „Lasst uns doch mal am anderen Ende der Straße nachsehen. Ich meine lt. Plan wären die Häuser weiter hinten“. Somit liefen wir weiter und siehe da, wir fanden beide. Bei einem war sogar noch die gleiche Hausnummer vorhanden, wie auf dem Foto. Das andere erkannten wir am Eingangstor und an den Ornamenten die noch zu sehen waren.

 

Lena und Susanne machten Erinnerungsfotos vor den Häusern. Diesmal kam niemand heraus um uns zu begrüßen und wir wollten auch nicht stören.

 

Ganz in der Nähe von Susannes Oma war das Haus Nummer 508 meiner Urgroßeltern. Ich dachte: „Vielleicht kannten sich unsere Verwandten untereinander? Bestimmt und jetzt haben wir uns getroffen. Schon komisch, irgendwie.“

 

Unterwegs erzählte uns Lena von ihrer Mutter und was sie alles erlebt hatte. Am besten fand ich die Begrüßung. Sie erzählte: „wenn wir am Sonntag zur Tante zu Besuch kamen war die Begrüßung an der Tür. „Helfgott, was hend`r kocht?“ Das fand ich einfach klasse. Man nahm sich Zeit für die Köstlichkeiten, die auf den Tisch kamen. 

 

Zurück zum Mittelpunkt der Stadt gingen wir in ein Café und unterhielten uns noch über dies und das. Später sahen Wolfgang und ich uns die evangelische Kirche bzw. das was noch übrig war an. Aus originalen Steinen wurde auf den Grundmauern der ehemaligen Kirche ein Denkmal gesetzt.

In der Nähe von Kirche und Rathaus gab es ein kleines Café in dem wir ein Getränk probieren sollten. Boza sei sehr gesund wurde uns versichert. Und in diesem Kiosk gäbe es den besten. Ich fand es gar nicht so schlecht.  Der Grundstock des Getränks ist Hirse oder auch andere Getreidesorten. In Verbindung mit Hefe, Zucker und Wasser bekommt es den außergewöhnlichen süß, säuerlichen Geschmack. Es enthält durch die Fermentierung einen leichten Alkoholanteil.  Es soll hilfreich für Darmbakterien und vieles andere sein, was wissenschaftlich nicht erwiesen ist.

Dazu gab es Kuchen, Baklava und eine zuckersüße Meringe für mich.

In Kačarevo wurde ein See künstlich angelegt. Den sollten wir uns unbedingt ansehen, da er so schön gelegen ist. Wir liefen die Ortschaft entlang und ich dachte immer an meinen Vater und seine Geschwister. Ob sie auch hier auf dieser Straße gelaufen waren? Ich kam mir vor wie in der Neuverfilmung der Titanic. Ich hatte gedanklich alte Bilder im Kopf wie es gewesen sein könnte und neue wie es jetzt war. Alte Frauen, die noch gar nicht so alt waren, mit Kopftüchern in schwarz gekleidet saßen vor ihren Häusern und unterhielten sich. Kinder spielten auf der Straße. Pferdekutschen fuhren durch die Ortschaft. Ja, so stellte ich mir die heile Welt in Franzfeld vor.

 

Auf unserem Weg zum See waren fast keine Leute auf der Straße, wahrscheinlich mussten die meisten arbeiten und konnten nicht vor den Häusern sitzen wie meine Vorstellung von früher war.

 

Am See angekommen wechselten sich die weißen Wolken mit dem blauen Himmel ab. Wunderschön angelegt lag er vor uns.

Auf dem Rückweg entdeckten wir einen Johannesbrotbaum.

Die ca.30 cm langen braunviolett gereiften Schotten enthalten Früchte die roh, geröstet oder auch gebacken essbar sind. Sie enthalten 50% Zucker. Aus den Samen wird das bekannte Johannisbrotkernmehl hergestellt. Ein Verdickungsmittel das in vielen Lebensmitteln verwendet wird. Ebenso kann aus den Scheidewänden der Früchte ein Saft gewonnen werden. Als Sirup nennt man ihn Kaftan.

 

Zurück im Café warteten wir bis eine Hochzeit vorbei war. Danach wurden wir im Standesamt erwartet. Dabei sprach uns ein junger Mann auf Serbisch an: „Seid ihr Franzfelder?“ „Ja“, antwortete ich. Er erzählte, dass er sich an den Franzfeld Verein gewandt hatte, da er Ahnenforschung betrieb. Um evtl. mehr über seine Vorfahren zu erfahren könnte er im Standesamt Erkundigungen einziehen. Er deutete auf Papiere die er in der Hand hielt. Ich sah darauf und entdeckte den Namen Holzmüller. „Holzmüller?“, fragte ich erstaunt. Er suchte die gleiche Familie, dachte ich und zog dabei meinen selbstgefertigten Stammbaum zum Vorschein. Als er den Mädchenname meiner Oma sah, war er im ersten Moment perplex. Allerdings konnten wir nicht feststellen, ob wir dem gleichen Familienstamm entsprangen. Wir wollten in Verbindung bleiben und tauschten unsere Visitenkarten aus.

Die Hochzeit war vorüber alle tanzten auf der Straße vor dem Standesamt, somit konnten wir eintreten. Als ich an der Reihe war, zeigte ich dem Beamten meinen Stammbaum und fragte voller Hoffnung: „Haben sie Angaben zu dem unehelichen Kind meiner Oma? Sie müsste so um 1911 geboren sein?“ und deutete auf das Bild meiner Oma. Er sah mich an: „Tut mir leid, aber alle Angaben zu den Deutschen in diesem Zeitraum sind nicht eingescannt und müssen im Archiv in verschiedenen Büchern gesucht werden. Das wäre im Moment zu umfangreich“. Er gab mir seine Visitenkarte und sagte: „Sie können mich anschreiben, bei Gelegenheit werde ich nachsehen“. „Oh je“, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich dachte, ich komme und werde sofort fündig. „So ein Mist“. Ich hatte mich so auf diesen Tag gefreut. Schade, schade das musste ich erstmal verarbeiten.

 

Den Rest des Tages verbrachten wir mit einer Andacht in der ehemaligen evangelischen Kirche der Franzfelder. Abends war im Rathaus ein Theaterstück mit und von der Vorsitzenden des Franzfeld Vereins angesagt. 2-sprachig aufgeführt, somit für Einheimische und ehemalige Franzfelder gedacht. Spät am Abend ging es zum Essen mit Band und Tanz. Unseren netten Gastgeber, den Bass Spieler, hatten wir diesmal sofort erkannt.

 

Am nächsten Tag flogen wir nach Hause. Vorher konnten wir uns Belgrad ansehen. Wir liefen in der Gruppe zur Belgrader Festung, da es laut unseren Mitreisenden eine tolle Aussicht auf die Mündung der Save in die Donau gab.


 

Auf dem Rückweg gingen wir in der Fußgängerzone spazieren. In einem Hinterhof befand sich eine nette Gaststätte. Die uns zum Abschluss mit sehr gutem Essen verwöhnte.

 

Fazit: Leider habe ich die Namen meiner Tante und ihrer Töchter nicht erhalten. Dafür nette Menschen getroffen und wundervolle Landschaften gesehen.