Winter

 

Eisblumen am Fenster, schmücken meine Aussicht an kalten Wintertagen. Sie erinnern mich an meine Kindheit. Es gibt sie in verschiedenen Formen. Nur die Farbe fehlt noch.

Sie erinnern mich auch an meinen ersten Winterurlaub mit 23 Jahren.

Mein Freund Wolfgang ist Skifahrer, seit seiner Kindheit. Ich war es nicht.

„Willst du auch mal Skifahren? Es macht echt Spaß. Ich bringe es dir bei.“

Zuerst wollte ich nicht, aber dann ließ ich mich doch überreden.

 

Unseren ersten Skiurlaub verbrachten wir im Oberallgäu. Thalkirchdorf zwischen Immenstadt und Oberstaufen. Dort befanden sich die Skigebiete Thalkirchdorf und fast daneben das Hündle. Wolfgang war in der Kindheit oft mit seinen Eltern dort.

 

Auf der Suche nach einem Zimmer gingen wir in ein Hotel vor Ort. Wunderschön gelegen gleich in Skilift Nähe. Dort erkundigten wir uns nach einem Doppelzimmer.

Die Dame meinte: „Nein bei uns ist alles belegt. Billiger wäre es gegenüber beim Heinle.“

Was sollte denn das? Sahen wir aus, als ob wir kein Geld hätten? Ich muss echt sagen, ich fühlte mich schon etwas beleidigt. Sicher waren wir jung, aber wir könnten es uns ja trotzdem leisten. Das kann sie doch gar nicht wissen.

Ich sagte später zu Wolfgang: „Ich werde wiederkommen und das teuerste Zimmer mieten. Wirst schon sehen.“

Er lachte: „Das machen wir. Da bin ich dabei.“

Somit gingen wir gegenüber zur Pension Heinle. Wir bereut es nicht. Die Zimmer waren wunderschön und auch das Frühstück sehr gut.

 

Am nächsten Tag bekam ich meine erste Skistunde. Am Kinderlift im „Dal“ wie die Einheimischen Thalkirchdorf nennen. Dort rutschte ich erstmal ein bisschen herum. Hochsteigen runterrutschen und wieder hochsteigen runterrutschen. Einfach nur, um ein Gefühl für den Ski zu bekommen, meinte Wolfgang.

„Möchtest du mal mit dem Babylift nach oben fahren? Dann kaufe ich dir eine Punktekarte.“

 Ich traute mich nicht. Das kam mir so hoch und steil vor. Und dieser komische Lift. Es war ein umlaufendes Stahlseil in Bodennähe. Daran hingen Kunststoffbügel die ans Gesäß geschoben wurden.

Zur Mittagszeit sagt Wolfgang: „Siehst du die Hütte dort oben? Wir fahren mit dem Schlepplift hinauf und essen zu Mittag.“

„Ja und wie soll ich wieder runterkommen? Das ist ja noch höher als beim Babylift?“

„Ich helfe dir, keine Angst.“

Ich sah mich schon mit dem Bügel am Hintern auf der Liftspur entlang schlittern. Oder… nicht rechtzeitig rauskommen und in den Schneehaufen am Ende der Spur landen.

Wolfgang beruhigte mich: „Das schaffen wir. Du stellst dich auf die linke Seite, denn der Ausgang ist links. Oben schiebe ich dich leicht an, somit kommst du besser raus.“

Hochfahren ging ganz gut, obwohl meine Hände ganz verkrampft waren, so fest hielt ich mich am Bügel ein.

In der Hütte gab es für mich Erbseneintopf mit Wiener Würstchen. Meine Lieblingsspeise. Als wir fertig mit Essen waren und ich am Rand der Abfahrt stand bekam ich zittrige Beine.

„Da komme ich nie runter. Oh Gott“, sagte ich, „wieso habe ich da nur zugestimmt.“

„Wir machen es so. Du stellst dich hinter mich und deine Skier zwischen meine Beine. Versuch einfach nur die Füße locker zu lassen. Ich mache das schon. Wir fahren ganz langsam. Keine Panik.“

Und so machten wir es. Zuerst ganz langsam, dann etwas schneller.

„Sollen wir nochmal?“

„Ja, gerne das macht richtig Spaß.“

Nach dem dritten Mal war Wolfgang am Ende. Er musste schließlich auch für mich bremsen. Das kostete Kraft. Somit beendeten wir unseren ersten gemeinsamen Skitag.

 

Am nächsten Tag meinte Wolfgang: „Heute fahren wir mit dem Auto rüber zum Hündle. Dort gibt es einen Sessellift das ist weniger anstrengend. Und oben, ist es nicht so steil, da können wir ein bisschen rumrutschen“.

Okay. Ich vertraute ihm. Hatte er mich ja gestern gut runtergebracht. Wir kauften eine Tageskarte und fuhren mit dem Sessellift hoch. Oben angekommen sollte ich ein Stück runter zum Schlepplift fahren. Als ich nach unten sah fingen meine Füße zu zittern an. Ich konnte keinen Meter mehr weiterfahren. Mein Magen wurde flau.

Wolfgang meinte: Das schaffst du, ist doch nur ein kurzes Stück zum Lift.“

„Das ist aber ganz schön steil.“

„Schau mal, die Anderen fahren ganz locker runter. Die Beine schulterbreit, leicht in die Knie gehen, den Hintern nach unten und du fährst langsam im Pflug runter. Das geht ganz einfach.“

„Das sagst du so, aber ich trau mich nicht.“

Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Knie wurden immer weicher und mein Herz raste.

Er beobachtete mich eine Zeitlang und meinte: „Weißt du was? Ich hol dir in der Hütte einen Liegestuhl und du ruhst dich erstmal aus. Genieße die Sonne und ich fahre mal nach oben. Okay?“

„Ja, so machen wir es.“

Ich war echt froh. Er holte mir noch ein Getränk und ich legte mich in die Sonne. Als Wolfgang später kam und mich nochmal überreden wollte, konnte ich mich einfach nicht überwinden.

Am späten Nachmittag fuhr er mit mir im Sessellift ab. Ich hatte im Lift das Gefühl, alle Leute die uns entgegenkamen, starrten mich an. Wahrscheinlich wars gar nicht so. Ich hätte ja auch einen verstauchten Knöchel haben können.

 

So verging die restliche Woche mit etwas herumrutschen am Babylift im Dal.

 

Irgendwann habe auch ich das Skifahren gelernt, aber nur, weil Wolfgang so geduldig war. Und im Hotel war ich auch. 30 Jahre später. Im teuersten Zimmer.

08.03.2017 Helga Sättler