Zuckertee

 

Häufig war ich, als Kind, bei Onkel Andreas und Tante Elisabeth. Meine Cousine Manuela ist nur 4 Jahre jünger als ich. Wir sind wie Geschwister aufgewachsen. An den Wochenenden, wenn meine Eltern und ich bei ihnen zu Besuch waren,

stellte ich jedes Mal die Frage: „Darf ich heute bei Manu schlafen?“

Und ich durfte. Somit verbrachten wir in unserer Kindheit sehr viel Zeit miteinander.

 

Sie hatten einen Wellensittich, den Bubi, der war gescheit. Ist immer im Wohnzimmer spazieren gegangen mit seinem kleinen Plastikball und hat gerufen: „Bubi, Balli spielen. Bubi, Balli spielen.“

Meine Tante hat ihm ein Lied vorgepfiffen und er konnte es nachpfeifen. Das beeindruckte mich sehr. Ich wollte auch so einen Bubi haben. Er trank sogar Kaffee mit meinem Onkel.

 

Oft kochte mein Onkel uns einen Zuckertee. Ich kannte das nicht und fand ihn soooo lecker. Immer wenn ich bei ihnen war und mein Onkel fragte, was ich trinken wolle, sagte ich: „Den Zuckertee, der schmeckt so gut.“

„Möchtest du nicht lieber eine Limo.“

„Nein, der Tee schmeckt mir viel besser.“

Dabei erzählte er mir: „Es ist ein arme Leute Tee. Als ich ein Kind war, gab es keine Limo, so wie heute. Meine Mutter hat uns öfter einen Zuckertee gemacht.“

Der Zucker wurde in einem Topf erhitzt bis er karamellisierte. Wasser wurde aufgegossen, dabei gab es ein Zischgeräusch und dann einem Knall. Ich dachte jedesmal, hoffentlich explodiert der Topf nicht. Alles umrühren. Somit schmeckte das Wasser nach Karamell. Daher der Name Zuckertee.

  

Eines Tages schlief ich mal wieder bei Manuela. Mein Onkel war im Keller und Manu in ihrem Spielzimmer und meine Tante, glaube ich, in der Arbeit.

Da schlich ich mich heimlich ins Schlafzimmer. Dort hing ein großer Spiegel mit einigen Cremedosen auf einer Ablage. Eine davon roch ganz toll. Somit dachte ich, so gut riechen möchte ich auch und habe mir das Gesicht damit eingecremt. Allerdings schon unter dem cremen bemerkte ich, dass sie fürchterlich brannte. Alles fing zu jucken und zu glühen an. Im Spiegel sah ich, dass meine Haut immer röter wurde. Ich schloss die Dose und rannte ins Bad. Mit viel kaltem Wasser und Seife versuchte ich, alles abzuwaschen. Auch nach dem Waschen war meine Haut noch gerötet. Als wir später am Tisch beim Essen saßen, dachte ich, alle müssten sehen, dass ich ein rotes Gesicht hatte. Somit sah ich immer nach unten, auf den Boden. Das fiel auf.

Onkel Andreas fragte: „Ist alles in Ordnung bei dir? Du bist so ruhig?“

„Ja ja, alles in Ordnung.“

Keiner bemerkte was. Uff wiedermal Glück gehabt. Ich habe es nie jemanden erzählt. 

 

(Autor: Helga Sättler 04.02.2019/Thema: Stammbaum)