Ungleichgewicht
Unsere Reise an den Gardasee begann schrill. Morgens um fünf hallte der Klang des Telefons, durch unsere Schlafzimmertür. Wir lagen noch in den Federn. Mit einem Satz sprang ich hoch. Stürmte in den Gang. Mein Herz raste.
„Hallo?“
„Hallo, ich bin es Diana. Wir kommen etwas später, auf dem Fußweg, neben dem Friedhof liegt eine Frau auf dem Boden. Der Notarzt ist unterwegs“.
„Alles klar, kein Problem.“
Warum hatte der Wecker nicht geklingelt? So ein Mist, dachte ich.
Als ich auflegte, stand Wolfgang neben mir.
„Was ist passiert?“
„Diana und Josef kommen später. Eine Frau liegt vor dem Friedhof. Sie müssen auf den Arzt warten“.
Rasch wurden Gesicht und Zähne keimfrei gemacht. Noch schnell in die Klamotten gehüpft. Und schon klingelte es.
Die beiden waren schneller, als wir dachten. Das Frühstück musste verschoben werden.
Diana erzählte später. Der Frau ginge es gut, anscheinend war sie leicht verwirrt. Sie wollte auf dem Gehsteig schlafen, bis der Friedhof öffnete, damit sie das Grab ihrer Mutter besuchen konnte.
Wir fuhren los und legten in Garmisch Patenkirchen bei McDonald die erste Rast ein. Mein Magen knurrte. Als Josef, Rührei mit Speck auf der Speisekarte las, war die Welt in Ordnung. Und bei mir… grummelte es danach auch nicht mehr.
Beim ADAC hatten wir vorab alle Gebühren bezahlt und die jeweiligen Etiketten bekommen. Die Vignette für Österreich. Video Maut für die Europabrücke und die VIA Card für die Italienische Maut.
Kurz vor der Italienischen Grenze sagte Wolfgang: „Die VIA Card fehlt!“
„Das kann nicht sein“, erwiderte ich. „Ich habe alles in die Plastikhülle gelegt. Die Unterlagen vom Hotel und auch die Karte“.
Er wühlte die Unterlagen durch.
„Dann hast du die Karte zu Hause vergessen!“, behauptete er.
„Mein Liebling, ich fahre jetzt Auto und kann nicht nachsehen. Sieh bitte nochmal genau nach. Sie muss drin sein. Ich bin sicher, dass ich sie reingelegt habe“.
Hinter uns wurde es ruhig. Josef und Diana trauten sich nicht, sich in unser Geplänkel einzumischen.
Wir beschlossen bei der nächstmöglichen Ausfahrt anzuhalten und eine Durchsuchung des Autos vorzunehmen. Wolfgang war auf 180.
An der nächsten Tankstelle fuhr ich raus. Er gab mir die Klarsichthülle.
„Nichts“.
Er brummte: „Na sag ich doch, nichts.“
Na toll, dachte ich, das habe ich auch gesehen.
„Lass uns aussteigen und im Auto nachsehen.“, sagte ich. „Die muss hier irgendwo liegen.“
Als ich ausstieg, mich zur Tür drehte, sah ich sie. Zwischen Tür und Sitz eingeklemmt lag die italienische Maut am Boden.
„Tut mir leid mein Schatz. Als ich dir beim Einsteigen die Unterlagen gab, scheint sie rausgefallen zu sein.“
Er motzte noch ein bisschen herum. Spielte den Beleidigten.
Ich sagte: „Mein Süßer, jetzt bin ich mit dir aber im Ungleichgewicht“, alle lachten. Das Eis war gebrochen. Der Urlaub konnte beginnen.
(Autor: Helga Sättler 20.04.2018)