Gestern in der Straßenbahn
Als ich gestern bei strahlendem Sonnenschein in der Straßenbahn saß und am Siemens Werk vorbeifuhr, fiel mir alles wieder ein.
Meine Lehre als Fachkraft für Fleisch- und Wurstwaren hatte ich damals gerade beendet. Eigentlich wollte ich immer Arzthelferin werden, aber mit einem Qualifizierenden Hauptschulabschluss der nur ein schlechter 3er war. Keine Chance. Somit entschied ich mich für das Nahrungsmittel Gewerbe. Eine Lehre wollte ich unbedingt machen. Egal was.
Als meine Ausbildung nach 3 Jahren beendete war, musste ich den kleinen Laden im Hochfeld verlassen. Ich war jetzt zu teuer. Als Springer eingesetzt wurde ich teilweise wöchentlich in verschiedene Filialen beordert.
„Nein danke, dazu hatte ich keine Lust mehr.“
An einem freien Nachmittag beschloss ich mich nach einem neuen Job umzusehen. Das Siemens Werk in Augsburg/Haunstetten hatte es mir angetan. Eine meiner Freundinnen erzählte mir: „In der Fabrik kannst du viel Geld verdienen.“ Und wer wollte nicht viel Geld verdienen?
Somit fuhr ich an einem freien Tag, mit gerade 19 Jahren, zu Siemens.
An der Pforte angelangt sagte ich: „Hätten sie einen Job für mich?“
„Haben sie eine Lehre gemacht.“
„Ja“ ,antwortete ich stolz, „und auch abgeschlossen.“
„Das ist gut. Ich glaube in der Qualitätssicherung wird gerade jemand gesucht. Warten sie einen Augenblick. Ich rufe mal den Chef an. Vielleicht können Sie gleich mit ihm reden.“
Was ich dann auch prompt tat und eine sofortige Zusage bekam.
Ich fuhr freudestrahlend nach Hause und erzählte meinen Eltern, dass ich die Arbeit wechseln würde. Da ich vorher nichts gesagt hatte, waren sie im ersten Moment etwas erschrocken.
„Wie, du wechselst die Arbeit? ,sagte mein Vater.
Die haben mich die letzten Monate doch eh nur rumgeschoben. Somit dachte ich mir. Ich suche mir was Anderes.“
Meine Eltern sagten:“ Du bist alt genug, wirst schon wissen was du tust. Aber in eine Fabrik, hast du dir das gut überlegt?“
Meine Mutter meinte: „Hoffentlich musst du nicht Akkord arbeiten, so wie ich.“
„Nein, nein“ ,ich beruhigte sie. „Ich komme in eine Prüfabteilung. Nicht an eine Maschine.“
Folglich fing ich im November 1979 bei der Firma Siemens zu arbeiten an.
Mitte der 80ziger Jahre wurde einigen Mitarbeitern angeboten, eine Firmenlehre zu absolvieren. Somit machte ich eine verkürzte Lehre als Nachrichtengerätemechaniker. Daraufhin bekam ich eine eigene Abteilung. Wir fünf Frauen verstanden uns großartig. Aber nach ein paar Jahren wurde die Abteilung an eine Fremdfirma nach Berlin verkauft. Ich ging ein paar Wochen mit nach Berlin um die Neuen anzulernen. Danach stellte man mir eine neue Abteilung in Aussicht.
Diesmal mit ca. 20 Frauen, was am Anfang sehr schwierig war. Ich war die jüngste und dann auch noch Chefin. Mit viel Ruhe und Wissen schaffte ich es die Abteilung aufzubauen. Als es wieder hieß: „Alles wird verkauft“, begann ich eine kaufmännische Ausbildung „Bürokauffrau im Rechnungswesen“. In Abendkursen machte ich in 2 Jahren eine Prüfung. Durch Zufall, na ja Zufälle gibt es ja nicht, sagt man, stieg ich von der Gruppenleitung ins Büro auf.
Einige Jahre musste ich in den 90zigern in München arbeiten, da meine Abteilung dorthin verlagert wurde.
In der Zwischenzeit bin ich wieder in Augsburg im Controlling Bereich der Buchhaltung. Meine Firma heißt nicht mehr Siemens sondern Fujitsu, aber Spaß macht mir die Arbeit immer noch.
Ich bin heute noch froh, dass ich diesen abenteuerlichen Schritt gewagt habe. Einfach an der Pforte nach einem Job zu Fragen.
22.04.2017 Helga Sättler